Zehntausend Bittschreiben, ein unterirdischer Teilchenbeschleuniger und jede Menge offener Fragen – ein weiterer Abend der Auricher Wissenschaftstage
„Heiliger Vater, helfen Sie uns…“
Über die Bittschreiben jüdischer Holocaust-Opfer an den Vatikan sprach Professor Hubert Wolf von der Universität Münster am 9. Oktober im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage. Den Besuchern des gut gefüllten Güterschuppens präsentierte er Bilder, Handschriften und Tonaufnahmen von Menschen, die sich in der Zeit des Nationalsozialismus mit verschiedenen Anliegen an den Papst gewandt haben. Dabei ging es um Hilfe bei Ausreisen, finanzielle Unterstützung, Schutz und Versteck sowie auch die Suche nach Angehörigen.

Das Team um Professor Wolf untersucht seit einigen Jahren 10 000 Bittschreiben aus den vatikanischen Archiven;
sortiert, digitalisiert, ordnet zu und recherchiert.
Was haben wir damit zu tun?
Diese Frage erörterte ich mit zwei Schülern von der IGS nach dem Vortrag am Fahrradständer. Für mich ist es klar. Es geht um jedes einzelne Menschenleben. Jede Geschichte ist einzigartig und besonders, und jede ist die Betrachtung wert, auch die der Sachbearbeiter im Vatikan, unter denen es Antisemiten gab ebenso wie Menschen mit Herz und Nachsicht. Ohne saubere statistische Methoden bringt es nichts, sagt Wolf. Der wissenschaftliche Anspruch sei wichtig und die Arbeit noch lange nicht getan. Bis sich das ganze Bild dieser Briefe zeige, müssten noch viele Haupt- und Ehrenamtliche lesen, sichten, katalogisieren, digitalisieren.
Der Leistungskurs Religion (Jg.13) von Lea Schwunck konnte sich im Vorfeld des Abends einen Eindruck von dieser Arbeit verschaffen. Trotzdem berührt mich das Individuelle, das Persönliche der ausgewählten Geschichten, die an diesem Abend vorgestellt werden. Es hätte jede sein können. Keine ist mehr oder weniger wert als die anderen. Ich bin froh, dass das Forschungsteam in Münster den Opfern wieder eine Stimme gibt und ihre Geschichten sichtbar macht. Sehr viele sind zu Tode gekommen, weil ihnen nicht geholfen werden konnte oder wollte.

In übervollen Schultagen erscheint es mir gut, mir darüber klar zu werden, dass jedes Leben zählt. Ich weiß das zwar schon lange und immer. Aber nehmen wir uns doch in aller Lebensüberfüllung manchmal einen Moment Zeit, es auch zu fühlen. Auch heute erleben wir Antisemitismus und andere Gewalt in ganz verschiedenen Gestalten.
Bleiben wir berührbar für die Geschichten der Menschen und ihrer Lieben, ihres Lebens und Leidens. Und betreiben wir Wissenschaft, die uns ermöglicht, einen klaren, sachgerechten Blick auf die Welt zu haben.

Letzteres haben auch Adrian Saathoff und Enno Gronewold getan, die als Stipendiaten der Auricher Wissenschaftstage das CERN besuchten. Auch ihr Vortrag öffnete interessante Perspektiven, und es war wundervoll, die Jungs mal wiederzusehen. Jetzt – nach ihrem Abitur – studieren sie. Vielleicht werden wir ihnen irgendwann Stipendiaten schicken können. So geht es weiter mit der Wissenschaft.
Und wer nun denkt, das sei es gewesen mit der diesjährigen Vortragsreihe, der sei getröstet: Die Veranstaltung zu „Thomas Mann als Pädagoge“ von Dr. Edo Reents musste verschoben werden und steht also noch aus. Ich freu mich drauf.
Test und Fotos: Christine Korte