Erinnerungen an die DDR

Erinnerungen an die DDR – Eine Zeitzeugin aus Rostock erzählt

Wie lebte es sich in der DDR? Was bedeutete es, dort zur Schule zu gehen, Jugendlicher zu sein oder ein Studium zu beginnen? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, führte der 12er Geschichtskurs ge406 ein Interview mit einer Zeitzeugin aus Rostock. Anlass war die Auseinandersetzung mit dem Thema „Leben in der DDR“ im zweiten Halbjahr des Unterrichts. Die folgenden Eindrücke beruhen auf ihren persönlichen Erfahrungen und vermitteln einen anschaulichen Einblick in das Alltagsleben sowie die politischen Strukturen des ehemaligen Staates.


Bereits in der Schule war vieles stark durch staatliche Vorgaben geprägt. Die Zeitzeugin erinnert sich beispielsweise an militärische Ausbildungseinheiten, die fest zum Schulalltag gehörten. So war etwa der Handgranatenweitwurf Teil des regulären Sportunterrichts. Darüber hinaus war politische Propaganda allgegenwärtig und beeinflusste nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch das Verhalten der Lehrkräfte. Besonders eindrücklich blieb ihr ein Physiklehrer in Erinnerung, der verdächtigt wurde, als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi tätig zu sein. Insgesamt sei die Kontrolle durch das System für viele deutlich spürbar gewesen.


Die Religion spielte im Leben der Zeitzeugin nur eine untergeordnete Rolle. Zwar war eine kirchliche Konfirmation grundsätzlich möglich, doch ging sie häufig mit schulischen Nachteilen einher. Wer sich hingegen für die staatlich organisierte Jugendweihe entschied, hatte es deutlich einfacher. Dieses gesellschaftlich fest etablierte Ritual umfasste eine etwa einjährige Vorbereitung und mündete in einer offiziellen, politisch geprägten Zeremonie. Rückblickend beschreibt sie diese Entscheidung nicht als persönliche Wahl, sondern vielmehr als Anpassung an gesellschaftlichen Zwang. Darüber hinaus war auch die Freizeit der Jugendlichen stark durchorganisiert. Die Zeitzeugin berichtet von Arbeitsgemeinschaften, staatlich geplanten Ferienlagern und kulturellen Angeboten. Wünsche nach westlichen Konsumgütern konnten hingegen oft nicht erfüllt werden. So erinnert sie sich daran, wie sehr sie sich in ihrer Kindheit eine Gitarre wünschte, die im regulären Handel jedoch nicht erhältlich war, sondern nur durch Tauschgeschäfte erlangt werden konnte, in diesem Fall verlief dieses Geschäft von Fischen über einen Heizkörper bis hin zur Gitarre. In sogenannten Intershops kam sie gelegentlich mit Westprodukten in Berührung. Besonders der Geruch dieses Ladens oder das Tragen einer Levis-Jeans blieben ihr im Gedächtnis. Allerdings war der Zugang zu diesen Läden eingeschränkt und keineswegs selbstverständlich, da die Bezahlung auf Devisen basierte. Trotzdem hatte sie nicht das Gefühl, deshalb ausgeschlossen zu sein. Das Bildungssystem bewertet die Zeitzeugin im Rückblick grundsätzlich positiv. Sie beschreibt es als einheitlich und leistungsorientiert, ohne die frühe Aufteilung in Haupt- oder Realschule. Jeder habe Zugang zu weiterführender Bildung gehabt, wobei Kinder aus Arbeiter- oder Bauernfamilien bevorzugt wurden. In ihrem Fall war das ein Vorteil, da ihr Vater Bauer in einer LPG war und sie dadurch leichter einen Studienplatz erhielt. Sie begann im Jahr 1989 ein Studium der sozialistischen Betriebswirtschaft. Rückblickend erkennt sie, wie stark die Studieninhalte ideologisch geprägt waren. Nach dem politischen Umbruch 1990 erlebte sie einen tiefgreifenden Wandel. Marxistische Theorien wurden durch neue wirtschaftliche Konzepte westlicher Prägung ersetzt, Marketing trat an ihre Stelle. Dozenten aus den alten Bundesländern hielten nun Vorlesungen, während sich die ostdeutschen Studierenden und Dozenten, wie sie berichtet, noch in einer Phase der Unsicherheit befanden.

Der Fall der Mauer kam für sie völlig unerwartet. Sie erinnert sich daran, wie sie an jenem Tag einen Zettel auf dem Küchentisch ihrer Wohngemeinschaft fand, auf dem stand, dass nun die Westgrenze geöffnet wurde. Kurz darauf reiste sie zum ersten Mal in den Westen, genauer gesagt nach Dänemark. Diese Zeit war für sie geprägt von Hoffnung, Offenheit und einer zunächst neutralen Haltung gegenüber den politischen Veränderungen.


Ob sie sich nach der Wende als Bürgerin zweiter Klasse gefühlt habe, beantwortet die Zeitzeugin differenziert. Ihrer Ansicht nach hing dieses Empfinden stark von der jeweiligen Generation und der beruflichen Situation ab.

Sie selbst habe sich nicht minderwertig gefühlt, kenne aber viele, die dies anders erlebt hätten.

Ein weiteres Erlebnis, das sie mit der Zeit nach der Wende verbindet, sind die westlichen Autos, die nun in großer Zahl in den Osten kamen. Viele Fahrzeuge waren allerdings Schrottmobile, die nur wegen der enormen Nachfrage verkauft wurden und nicht immer verkehrstüchtig waren. Zugleich stieg die Unfallquote, da manche Menschen mit den höheren PS-Zahlen überfordert waren. In diesem Zusammenhang erinnert sie sich auch an die Diskussionen um die Alleen in ihrer Region. Während sie diese Baumreihen bis heute als landschaftlich schön und ökologisch wertvoll empfindet, galten sie damals plötzlich als Gefahrenquelle, weil sich dort Unfälle häuften. Eine generelle Entscheidung gegen die Alleen wurde jedoch nicht getroffen. Stattdessen begann man später sogar wieder, sie gezielt aufzuforsten, da sie dem Klima nützen und Erosion verhindern. Rückblickend beschreibt sie die DDR als einen Staat mit sozialen Sicherheiten, aber auch mit vielen Einschränkungen. Besonders positiv hebt sie das medizinische System hervor. Jeder habe Zugang zu ärztlicher Versorgung gehabt, alle seien in derselben Krankenkasse versichert gewesen. Gleichzeitig war die Verwaltung stark zentralisiert und ihrer Einschätzung nach oft wenig flexibel. Auch erinnert sie sich an die Gleichheit im Alltag, etwa bei Kleidung und Schulmaterialien. Der soziale Druck, sich über Konsum Anerkennung zu verschaffen, sei deutlich geringer gewesen als heute. Trotzdem spricht sie offen über die Begrenzungen, die sie erlebt hat. Politische Meinungsfreiheit bestand nicht und auch die Reisefreiheit war stark eingeschränkt. Der Blick über die Ostsee hinweg in Richtung des Leuchtturmes Gedser in Dänemark war für viele mit Sehnsucht verbunden. „Da ist der Westen“, habe man gesagt, oft begleitet vom Wunsch nach mehr Freiheit und Möglichkeiten. Heute, im Jahr 2025, blickt die Zeitzeugin mit gemischten Gefühlen auf ihr Leben in der DDR zurück. Die Idee von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit hält sie nach wie vor für grundsätzlich richtig. Doch sei das System letztlich an seinen inneren Widersprüchen sowie dem fehlenden Individualismus gescheitert. Für sie steht fest:

Die DDR war weder nur gut noch nur schlecht. Sie war ein Teil ihres Lebens – geprägt von Licht und Schatten.

Melina Mouson, ge406

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