
Es hätte mein freier Donnerstag sein können. Ein ganzes langes Schuljahr mit allen Anstrengungen steckt uns in den Knochen. Beim Schwimmen denke ich schon darüber nach, was ich noch für den Urlaub brauche. Bald sind Ferien. Und dann kam am Dienstag spät abends eine E-Mail meiner Tutandin Amélie mit der Frage, ob ich beim Abi-Gag am Donnerstag (!) ein Lehrer-Duett singen würde. Amélie ist wunderbar, zurückhaltend, aber klar. Sie würde sich niemals aufdrängen und ist immer höflich. Ich könnte ihr nicht gut etwas abschlagen. Aber es ist mein freier Donnerstag. Herr Beyer habe schon zugesagt, schrieb Amélie. Mit diesem Kollegen lässt sich manches erleben, aber ich fühlte mich zu erschöpft, die Entscheidung zu treffen, und ging schlafen. Es kam ein neuer Tag mit neuen Kräften, mit Unterricht und der Generalprobe für die Abiturentlassung in der Stadthalle. Schon beim Aufstehen wusste ich, was ich tun würde. Es ist Amélie. Es sind unsere Abiturienten. Zweiunddreißig Abiturklausuren habe ich gelesen und begutachtet, zwei Jahre lang mit ihnen gern gearbeitet. Sehr gern. Die Antwort war klar. Ich schrieb Amélie, und ich schrieb dem Kollegen Beyer. Es war Mittwoch Mittag. Der fröhliche Musiklehrer machte mir die Sache leicht. Ein Lied wurde gefunden, das ich kannte, und er überließ mir die Melodiestimme. Ich übte mit einer Karaoke-Version bei Youtube den halben Nachmittag, druckte Textblätter aus und traf mich mit Christoph Otto Beyer um 8.30 Uhr zum Proben im Bandraum der Schule. An meinem freien Donnerstag. Wir sangen und klangen und lachten. Die Klamotte war besprochen, kleine Änderungen im Text, und dann ergoss sich der Himmel in unerbittlichem Dauerregen über dem Abi-Gag auf dem Schulhof. An meinem freien Donnerstag. Um kurz vor elf stand ich mit dem Kollegen auf der Bühne. Man gab uns nur ein Mikrofon, wir hätten gern zwei gehabt und nahmen es nun, wie es eben kam. „Something stupid“ sangen wir, ich in der Rolle des Frank Sinatra, er als Nancy Sinatra – oder für die Jüngeren: ich als Robbie Williams, er als Nicole Kidman. Nach zweieinhalb Minuten war alles vorbei.
Aber in mir klingt es nach. Dreieinhalb Stunden in der Schule und auf dem Schulhof bei strömendem Regen. An meinem freien Donnerstag. Aber: Wir haben gesungen. „We love you.“ Und das meinen wir so. Ich habe strahlende Gesichter gesehen. Weil sie wissen, dass es wahr ist. Weil sie uns kennen. Weil sie sich freuen, dass wir uns für diesen Spaß hergegeben haben. Weil wir uns verkleidet haben. Weil sie Abitur haben. Weil sie feiern. Da sind wir dabei. Wenn wir anfangen, jede einzelne Stunde zu zählen, die man uns bezahlt, haben wir vielleicht häufiger frei. Aber singen wir dann auch?
Mit meinem Kollegen hatte ich sehr viel Spaß. Wir sind Christocello und Christinella. Man braucht Künstlernamen, wenn man sowas macht. Meine Schüler sagten am Folgetag: „Und es klang gar nicht mal so schlecht.“ Ich habe ihn gut genutzt, meinen freien Donnerstag. Und darauf kommt es am Ende an.
Tschüs, ihr Lieben! Möget ihr immer Musik haben und Menschen, mit denen ihr singen könnt! We love you.
Text: Christine Korte
Foto: Simon Lampka